S. Katajala-Peltomaa u.a. (Hrsg.): Medieval Miracle Collections

Cover
Titel
A Companion to Medieval Miracle Collections.


Herausgeber
Katajala-Peltomaa, Sari; Kuuliala, Jenni; McCleery, Iona
Reihe
Reading Medieval Sources (5)
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 378 S.
Preis
€ 228,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriela Signori, Historisches Institut, Universität Konstanz

Seit den späten 1970er-Jahren befasst sich die internationale Mittelalterforschung extensiv mit dem Wunder als Vorstellung und religiöser Praxis, dergestalt dass die Vielzahl der jährlichen Neuerscheinungen kaum noch zu überblicken ist. Allein für die letzten 15 Jahre zählt die International Medieval Bibliography unter dem Schlagwort „Wunder“ 1.046 Einträge; ähnlich lautet der Befund für den Opac der Regesta imperii. Vor diesem Hintergrund wird es schwierig, die internationale Mirakelforschung in ihrer erfrischenden Vielgestalt und Vielsprachigkeit angemessen zu würdigen, Forschungslücken zu diagnostizieren und thematisches oder methodisches Neuland zu betreten; vor diesem Hintergrund irritiert es auch, dass die drei Herausgeberinnen des Companion to Medieval Miracle Collections ihren einleitenden Forschungsüberblick auf schlanke zehn Seiten begrenzen! (S. 1–10)

Einschneidend sei für die jüngere Mirakelforschung, bilanzieren die Herausgeberinnen, der Wechsel von sozial- zu kulturgeschichtlichen Fragestellungen, das heißt, der Wechsel von der Quantität zur Qualität (S. 7f.): „While the first studies focused largely on quantitative analysis, especially on the classification of various conditions cured, qualitative close reading has been a core approach for some time now: The study of miracle narrations has also taken a turn to more theoretical approaches following the lead of scholars studying vitae, who are largely literary scholars.“ Für die jüngere Mirakelforschung charakteristisch sei überdies die Öffnung auf die Disability Studies sowie auf die Geschichte der Kindheit und der Verwandt-schaftsbeziehungen. Ferner zeichne sich ab, dass „a more profound theoretical frame“ in der Wunderanalyse zur Anwendung käme, „a more pronounced focus on methodology has recently become relevant within studies of miracle narrations“ (S. 9). Der Umgang mit dem Wunder sei alles in allem kritischer geworden. Diese Einschätzung(en) muss man nicht teilen.

Zusammengestellt haben die Herausgeberinnen, die beide schon einschlägige Studien vorgelegt haben, auf die sie in ihren eigenen Beiträgen rekurrieren1, keinen gewöhnlichen Sammelband, sondern einen Companion, also einen Sammelband, der den Anspruch erhebt, für die Forschung wegweisend zu sein, Handbuchcharakter zu haben. Diesem Anspruch wird der Band aber nicht gerecht, vor allem weil ihm ein Konzept fehlt, das die Beiträge organisiert und zusammenhält. Einleitend wird erläutert, dass der Band in zwei Teile geteilt sei (S. 10–14): Der erste Teil betreffe „the evolution and contexts of miracle collections“, der zweite Teil lenke die Aufmerksamkeit „to the ways miracle narratives can be and have been used in the study of lay piety, lived religion, communal religious practices, and the social history of medicine“. Die Strukturbeschreibung ersetzt aber kein Konzept. Beide Buchteile sind bemerkenswert heterogen; überdies handeln die insgesamt 15 Beiträge vielfach nicht von Wunderberichten, sondern vom Wallfahrtswesen, Kanonisationsprozess oder von Hagiographie im Allgemeinen, von denen das Wunder jeweils immer nur ein Teilaspekt ist.

Der erste Teil enthält Beiträge zu hochmittelalterlichen Wundersammlungen vorwiegend von den britischen Inseln (Louise Elizabeth Wilson), zum Wunder in der mittelalterlichen Mönchskultur mit Fokus auf die Zisterzienser (Emilia Jamroziak), zur Rolle des Wunders im Kontext des Kanonisationsprozesses aus kirchenrechtlicher Perspektive (Roberto Paciocco) und zu den konkreten Produktionsbedingungen der spätmittelalterlichen Kanonisationsakten und mithin des kanonischen, verbrieften oder beglaubigten Wunders (Sari Katajala-Peltomaa und Jenni Kuuliala) sowie zum Platz des Wunders in der frühen Dominikaner-Hagiographie (Donald S. Prudlo) und zum Bezug zwischen Mirakel und Exempel (Jussi Hansky). Um Case Studies drehe sich der zweite Buchteil, der mit den süditalienischen post-mortem-Wundern Thomas’ von Aquin beginnt (Marika Räsänen). Es folgen Beiträge zur Wallfahrtspraxis (Leigh Ann Craig), zum Wunder als Quellenbasis für die Disability Studies (Jenni Kuuliala), zu konkurrierenden Konzeptionen von geistigen Störungen (Sari Katajala-Peltomaa), zum Tod im Kindbett (Jyrki Nissi), zu politischen Befreiungswundern im spätmittelalterlichen Portugal (Iona McCleery), zu Schutzwundern in der sich verändernden politischen Landschaft der spätmittelalterlichen Provence (Nicole Archambeau), zu Traum und Vision in Wundersammlungen aus den spätmittelalterlichen Niederlanden (Jonas Van Mulder) und zu den Wundertypen im hagiographischen Dossier der Dominikanerin Margaretha von Ungarn (Ildikó Csepregi).

Es versteht sich, dass ich die insgesamt 15 Beiträgen nicht einzeln würdigen kann, sondern eine Auswahl treffen muss. Ausgewählt habe ich die zwei Themenkomplexe, die mehrfach aufgegriffen werden und den Autoren und Autorinnen die Möglichkeit geboten hätten, sich aufeinander zu beziehen: Zum einen geht es um das Kanonisationsverfahren, zum andern um Heiligkeitskonzepte im Dominikanerorden.

Mehrfach hat sich Roberto Paciocco (Universität Chieti-Pescara) seit 1996 mit der Entwicklung des Kanonisationsprozesses und dem Einfluss des kanonischen Rechts auf das Verfahren befasst und 2019 die Kanonisationsakten des Franziskaners Ambrosius von Massa ediert. Auf diese Vorarbeiten stützt sich sein Beitrag mit dem Titel The Canonization of Saints in the Middle Ages. Procedure, Documentation, Meanings (S. 54–77). Pacioccos Weg zum spätmittelalterlichen Kanonisationsprozess führt von der frühmittelalterlichen Liturgie über die ersten päpstlichen Kanonisationsverfahren des 11. Jahrhunderts und die Normierungsbestrebungen der Kanonisten des 12. Jahrhunderts zu dem für das 13. Jahrhundert charakteristischen Zusammenwirken von Papsttum und Mendikantenorden. Profitiert hätten die Mendikanten vor allem auf der Ebene der Privilegien: „The friars used the coercive capacity of the canonization documents and those published by the papacy to the advantage of saints of the Mendicant Orders in general, even in their controversy with secular clergy, as the insertion of such documents in their manuscript collections of papal privileges demonstrates.“ (S. 67) Spezielles Augenmerk gilt so dann dem Franziskaner Ambrosius von Massa, dessen Heiligsprechung Innozenz IV. aus rein formalen Gründen zunächst ablehnte. Abschließend hebt Paciocco die Verschiedenheit der Ziele und Motive hervor: „Each canonization conceals various motives, different every time: pastoral and spiritual significances melded with others that were ‚practical‘ in nature, which help to explain procedural peculiarities.“ (S. 77) Und er relativiert mit Nachdruck den politischen Einfluss der Päpste.

Unter dem Titel Practical Matters. Canonization Records in the Making (S. 78–101) nehmen die beiden finnischen Historikerinnen Sari Katajala-Peltomaa und Jenni Kuuliala die Produktionsbedingungen spätmittelalterlicher Kanonisationsakten in den Blick. Mit diesen rein praktischen Dimensionen habe sich die Forschung nicht ausreichend beschäftigt; für das bessere Verständnis der Produkte sei es jedoch unerlässlich, sich mit deren Werden zu befassen. Zunächst geht es um die Inquisitio in partibus, die Zeugenvernehmung vor Ort des Geschehens, den unterschiedlichen Umgang mit den in partibus aufgenommenen Zeugenaussagen und die dem Verfahren zugrundeliegenden Selektionsprozesse: „The questions of which witnesses were selected and which cases were investigated were interrelated, but the causality between them is not self-evident. Prevalence was given to miracles that had biblical models, and therefore resurrections and certain types of cures are the most commonly recorded category of miracle.“ (S. 87) In einem zweiten und dritten Schritt befassen sich die Autorinnen mit den verschiedenen Formen der Articuli und Interrogaria sowie mit Sprachproblemen, die sich bei der Übersetzung der umgangssprachlichen Zeugenaussagen ins Lateinische ergeben konnten. Aus dem Blickwinkel der Produktionsbedingungen tritt schließlich die prozedurale Verschiedenheit der Verfahren hervor.

Mit den Mendikantenheiligen des 13. und 14. Jahrhunderts setzt sich schließlich auch der US-amerikanische Kirchenhistoriker Donald S. Prudlo (University of Tulsa) unter dem etwas idiosynkratrischen Obertitel Heretics, Hemorrhages, and Herrings auseinander (S. 103–124). Es geht um die Heiligen Dominikus, Petrus Martyr, über den Prudlo 2004 promoviert hat, und Thomas von Aquin. Anfänglich hätten sich die Dominikaner sowohl mit dem Wunder als auch der hagiographischen Vitenliteratur schwergetan. Selbst im Libellus des Jordan von Sachsen stünde Dominikus nicht immer im Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Einen Zugang zum Wunder hätten sie erst im 14. Jahrhundert gefunden. Beim Heiligsprechungsverfahren von Petrus Martyr habe die Kommission den kirchenrechtlichen Bestimmungen folgend nur die besten Wunder und die stärksten Zeugen ausgewählt. Quantität über Qualität gestellt habe die Kommission erst bei Thomas von Aquin, dessen Heiligsprechung zunächst an einer unzureichenden Wunderzahl scheiterte.

Mit diesen Wundern befasst sich Marika Räsänen im zweiten Teil des Sammelbandes, der den Case Studies gewidmet ist (S. 144–163). Auf Pudlos Thesen geht sie nicht ein. Räsänen hat 2017 zu dem Thema promoviert und sich in einer Vielzahl von Aufsätzen mit den Thomas-Reliquien und dem Thomas-Kult befasst, auch mit den Wundern vor Ort, in der Umgebung des Zisterzienserklosters Fossanova, wo Thomas von Aquin im März 1274 gestorben war. Aus dem Blickwinkel seiner Post-mortem-Wunder erscheint Thomas von Aquin als „prompt and loyal in helping the monastic family and all the other devotees who dedicated themselves to the saint. The miracles recounted by the Cistercians emphasized Thomas’s role as a patron saint of Fossanona who took care of his family, nurturing and protecting it.“ (S. 163)

Meine Ausführungen sollten hinreichend gezeigt haben, dass der vorliegende Band kein Companion, kein forschungsweisendes Handbuch, ist, sondern ein herkömmlicher Sammelband, und ein Sammelband dazu, der wie so viele darunter leidet, dass ihm ein Konzept fehlt, das die Beiträge untereinander zusammenhält. Auch den Beiträgen selbst fehlt jedweder Querbezug untereinander: Die Autoren wissen nicht, was die anderen geschrieben haben. Dafür sind nicht wenige Beiträge bemerkenswert selbstreferentiell und bieten insgesamt wenig Neues, das nicht schon andernorts und in anderen Sprachen geschrieben worden wäre.

Anmerkung:
1 Katajala-Peltomaa hat 2018 zusammen mit Christian Krötzel einen Sammelband zu Miracles in Medieval Canonization Processes vorgelegt, Untertitel: Structures, Functions, and Methodologies, Turnhout 2018. Promoviert hat sie über das Thema Besessenheit im Spiegel der Wunderberichte (Demonic Possession and Lived Religion in Later Medieval Europe, Oxford 2020), Jenni Kuuliala über behinderte Kinder in spätmittelalterlichen Kanonisationswundern: Childhood Disability and Social Integration in the Middle Ages. Constructions of Impairments in Thirteenth- and Fourteenth-Century Canonization Processes (Studies in the History of Daily Life, 800–1600, Bd. 4), Turnhout 2016.

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